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Bild und Textreportage mit dem Titel: "Sag Vater, ist's wahr?" ueber den zunehmenden Schilderwald zur Verkehrsregelung in der Stadt Zuerich, aufgenommen im Oktober 1952. === AUS DER ORIGINALLEGENDE === "Es ist nicht mehr wie frueher. Das finden die Leute von Eschlikon, die sich bei dem heutzutage herrschenden Verkehr kaum mehr getrauen, mit dem Guellenwagen in die Hauptstrasse einzubiegen. Das sagen die Fussgaenger in der Stadt, denen Statistiker vorgerechnet haben, dass das UEberqueren einer belebten Strasse mindestens so gefaehrlich sei, wie der Sprung mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug. Und das meinen auch die Automobilisten, seit sie gemerkt haben, dass man im Stadtzentrum zu Fuss schneller vorwaertskommt als mit dem Wagen, und dass man, am Ziele angelangt, erst noch eine Viertelstunde herumfahren muss, um einen Parkplatz zu suchen. Das fanden auch die Stadtvaeter von Zuerich. Die haben kuerzlich eine Verkehrszaehlung durchgefuehrt. Und die horrende Zahl von Vehikeln, die da auf engstem Raum zirkulieren, mag sie veranlasst haben, Dinge zu unternehmen, mit denen sie nicht auf allgemeines Verstaendnis gestossen sind. Da wurden an allen Strassenkreuzungen Verkehrspolizisten postiert. Es entstand ein Wald von Tafeln, zahllose Gebote und Verbote fuer die Strassenbenutzer enthaltend. Ss sind deren so viele, dass der Volksmund den Namen „Taeflikon“ gefunden hat, und das ist gewiss keine UEbertreibung. Und schließlich wurden - als imposantes Prunkstueck zuercherischer Verkehrsregelung - kostspielige Lichtanlagen aufgestellt. Davor stauen sich nun die Automobile und der Heerhaufe der Fussgaenger, und die Kommentare, die man hier zu hoeren bekommt, sind nicht eben freundlich. Kuerzlich sah ich einen Mann vom Lande – vielleicht aus Eschlikon – vom Hauptbahnhof her stadtwaerts marschieren. Alle Augenblicke stand er still, lass die vielfaeltigen Inschriften auf den Verkehrstafeln, suchte umsonst den Sinn der gezeichneten Symbole zu erfassen, bestaunte das mittaegliche Verkehrsgewuehl, die klingenden Straßenbahnen, die langen Autokolonnen, den dichten Strom des hastenden Fussvolkes. Schließlich wurde er an die große Kreuzung Urania-Bahnhofstrasse geschwemmt, wo er eine Weile fassungslos auf die Signale, die gruenen und roten Lichter starrte. Und dann tat er etwas, das sehr fuer sein gesundes Empfinden spricht: er machte ploetzlich kehrt und fluechtete mit langen Schritten zurueck zum Bahnhof! Die Geschichte von dem Mann aus Eschlikon ist natuerlich frei erfunden. Aber sie haette sich ohne weiteres so zutragen koennen. Wahr hingegen ist, dass die Zuercher schimpfen, protestieren und Witze reissen. Zwar sind sie einsichtig genug, um zu verstehen, dass der gewaltig gestiegene Verkehr geregelt werden muss, aber sie sehen nicht den Sinn, der hinter den einzelnen Massnahmen steckt und sie sind nicht ohne weiteres davon ueberzeugt, dass die hunderte, die Strassen verschandelnden Verkehrstafeln notwendig sind. Und darum wollten wir an die Stadtvaeter von Zuerich, die dem Vernehmen nach einen umfassenden Verkehrsplan ausgearbeitet haben, eine sich aufdraengende Frage stellen: Sag Vater ...? - Unser Bild zeigt ein Prunkstueck au dem "Taeflikoner" Tafelwand: Eine Weisung fuer Linksabbieger samt erlaeuterdem Kroki." (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Jules Vogt)